3.  Die 1000 – Jahrfeier

Im Frühjahr 2003 verbreitete sich folgende Nachricht wie ein Lauffeuer durch das Dorf:
Es ist eine Urkunde gefunden worden, in der die Gründung des Dorfes vor 1000 Jahren angegeben wird.!
Fast hätten die Bewohner die 1000-Jahrfeier verschlafen. In der „Urkunde“, eine Studie über die  Ortsgestaltungskonzeption der Gemeinde Serno mit den Ortsteilen Grochewitz und Göritz, wurden folgende Jahreszahlen für diese Orte genannt:

                                    Gründungsjahr: Grochewitz      1003

                                                           Serno               1213

                                                           Göritz               1314

  Nach der ersten Euphorie und größeren Diskussionen  begann die Phase der Fragen. Woher stammt diese 1003 ? Gibt es „richtige “Urkunden darüber ? Wie zuverlässig sind die genannten Zahlen ? usw.. Es wurden aber auch Fragen nach dem Termin, der Finanzierung und Ausrichtung des kommenden Festes gestellt. Der Eifer der Organisatoren wurde aber nach einer Rücksprache mit dem Bürgermeister stark abgebremst. Es ist nicht bekannt wie die Zahl 1003 in die Studie kommt, es handelt sich wahrscheinlich um einen Zahlendreher (Schreibfehler) und außerdem ist eine Dorfgründung hier und in dieser Zeit eigentlich unmöglich. Und so blieb auch ein „offizieller“ Finanzzuschuß für eine 1000-Jahrfeier  in Grochewitz späteren Zeiten vorbehalten.

 Aber die Optimisten  („der harte Kern“) im Dorf ließ sich nicht entmutigen und die Planung der 1000-Jahrfeier lief auf vollen Touren. Da Anfang Mai schon seit längerer Zeit ein zünftiges Dorffest veranstaltet wird, war es nahe liegend das Dorffest mit der 1000-Jahrfeier zu verbinden. Und so wird seit 2003, immer Anfang Mai, der Dorfgründung im Jahre 1003 gedacht und entsprechend gefeiert.

Die Marmorplatte am Dorf-Club und das Banner über der Straße beim Dorffest sind nicht zu übersehen.

Vor einem Jahr wurde die Verwaltungsgemeinschaft Rosseltal aufgelöst und die Gemeinde Serno kam zu der Verwaltungsgemeinschaft (VGem.) Coswig (Anhalt).

Und auf der Internet-Seite www.coswiganhalt.de (! bei Anwahl wird dieser Bericht verlassen) 
kann man unter Jahrestage der Gemeinden – Jubiläen aller Gemeinden der Vgem. Coswig (Anhalt) lesen (Auszug):

Möllensdorf:                Ersterwähnung: 964                 Jahresfeier:  1050         Jahr:  2014

Grochewitz:                 Ersterwähnung: 1003               Jahresfeier:  1000         Jahr:  2003

Und hier steht (am 02.07.05, „ohne „Augenzwinkern“ ) dass Grochewitz die Zweitälteste unter den 26 Gemeinden der Vgem. Coswig (Anhalt) ist.

Hier endet der Absatz "Die 1000 Jahrfeier". Es folgen noch einige Argumente, die dem Leser helfen sollen, sich ein eigenes  Urteil über den Zeitpunkt der Gründung (Ersterwähnung) von Grochewitz zu bilden.

Was ist über die Entstehung des Dorfes Grochewitz bekannt, wie beschreiben die Geschichtsforscher die Verhältnisse in dem Siedlungsgebiet (östlich der Elbe) im 10. Jh. und welche Urkunden oder Dokumente können weitere Auskunft geben.

Auf alten Landkarten von 1757 ist Grochowitz und 1645 Grochewitz bereits eingezeichnet.

Als sicher  kann das Datum „1491 Jul. 1.“  betrachtet werden. In der Urkunde mit diesem Datum belehnt Fürst Philipus, Hansen von Lattorf und seine Erben mit dem Dorfe Grochewitz und Zubehör wie der Fürst es selbst gehabt hatte, als Mannlehen.

Es kann davon ausgegangen werden, dass das Dorf  also bedeutend älter ist, und schon früher in seinen Besitz kam.

Als „Grochewitze“ wird das Dorf 1451 in der Zerbster Ratschronik erwähnt.

Eine allgemeine Beschreibung in der Zeit vom 4.Jh. – 12 Jh. über die Bevölkerung und ihren Lebensraum im Gebiet an der Elbe, zwischen dem heutigen Magdeburg, Wittenberg und Zerbst in Stichworten.

Die willkürliche Auswahl soll dem Leser einen kurzen Überblick über diesen Geschichtsabschnitt in dem genannten Gebiet vermitteln und zu eigenen Nachforschungen anregen.

Ausführliche Daten kann man in den Geschichtsbüchern (siehe Quellenangaben) finden, aber man wird auch einige Abweichungen der Angaben (Jahreszahlen, Grenzen, Bevölkerung usw.) in den verschiedenen Beschreibungen feststellen.

  Im  2. – 4. Jh. entstanden durch Wanderungen  und Expansionen germanischer Völker, Großstämme in der Nähe von Rhein und Donau, daraus entwickelte sich eine  Bedrohung der römischen Reichsgrenze.  

  Im 4. / 5. Jh. wandern slawische Stämme von ihrer Urheimat, dem pannonisch-siebenbürgischen Becken, am äußeren Rand des Karpartengebirges, bis an die Elbe.

 Im 7. Jh. siedelten die Heveller und Sorben (ostslawische Stämme) in diesen rechtselbischen Gebieten, die nicht zum Frankenreich Karl des Großen gehören, aber als Einflussgebiet betrachtet wurden.

  Im 8. Jh. entstand ein Schnittpunkt wichtiger Verkehrswege - ein befestigter Handelsplatz, der von Fernhändlern (Juden, Syrer, Friesen) aufgesucht wurde. An die Stelle einer alten germanischen Burg oder Kultstätte tritt ein karolingischer Königshof. Unter der Festung liegt an der Elbe der Hafen und die Siedlungen der Händler. Magdeburg ist Grenzort zu den, von slawischen Stämmen besiedelten  Gebieten östlich der Elbe.

 Ein Missionar (Konstantin von Byzanz) führte, mit Billigung Roms, Slawisch als liturgische Sprache (Kirchen und Literaturslawisch) in den Ostgebieten ein.

Sie wird 1293 als Gerichtssprache aufgehoben.

  Um 900 entstand aus dem Ostfrankenreich das Deutsche Reich. Es bestand ethnisch überwiegend aus Germanenstämmen, die durch die gemeinsame Volkssprache (deutsch) zusammengehalten  wurden. Ihre Führer, die an die Spitze der Stämme getretenen Herzöge (Franken, Schwaben, Bayern, Sachsen) hatten das Ziel, eine politische Einheit zu bilden.

  Im 10. Jahrhundert ist das Land östlich von Elbe und Saale von den Sorben besiedelt. Es bildet die Basis für das nach Osten über die Elbe-Saale-Linie ausgreifende Ostfränkisch-Deutsche Reich. Unter den sächsischen Ottonen, den deutschen Kaisern und Königen des 10. und beginnenden 11. Jahrhunderts, wurden Grenzmarken (Elb-, Nord- Ost- oder später Mittelmark, Lausitz, Merseburg, Zeitz, Meißen) und mit ihnen verbundene Bistümer errichtet.

  Unter Otto I. lag die Grenze des Römisch-Deutschen Kaiserreiches zeitweise (962) fast  an der Oder, die Gebiete östlich der Elbe gingen aber bei den Slawenaufständen 982/983 wieder verloren. Nur das Gebiet der Mark Lausitz und der Ostmark (Elbgebiete oberhalb der Saalemündung) gehört weiter zu dem Reich Otto I.

  Das rechtselbische Gebiet zwischen Nienburg, Wittenberg und um Zerbst wird 948 urkundlich als slawischer Gau „Cierwisti“ und  973 Kiruisti genannt. Zerbiste wurde 1003 erwähnt.

Eine Kurzbiographie Von Heinrich II. (dem Eigentümer von Drogunize – Grochwitz?)

Seine Schenkungsurkunde von 1003 ist das „Dokument“ für die 1000-Jahrfeier in Grochewitz.

973 wird Heinrich der II. geboren (+1024). Er ist Deutscher Kaiser und König von 1002-1024. Stammt aus der bayrischen Linie der Ottonen. Geistliche Ausbildung in Hildesheim. Wird 1002 als Angehöriger des ottonischen Kaiserhauses von den Fürsten in Mainz gekrönt. Führt mehrere Kriege gegen Polen (Hauptgegner Boleslav Chrobry), er geht dabei sogar ein Bündnis mit den heidnischen Liutizen ein. Bei seinem 2. Italienzug wird er 1014 zum Kaiser gekrönt. Er greift in Angelegenheiten der Kirche ein, setzt tüchtige Bischöfe und Äbte ein, beschenkt die Bistümer und macht sie zur Stütze seiner Macht. Heinrich der II. fördert die Reformbewegung die von Gorze und Kluny *) ausgeht, er ist Vorbereiter der  großen Kirchenreform.

*) Kluny war das größte Kloster des Abendlandes (Burgund-Frankreich), später ein Klosterbund, ein Mönchsstaat von weit mehr als 600 Klöstern. Das letzte Kloster (III) wurde vor 200 Jahren zerstört.

  1003. Mai 12. Walbeck.
„König Heinrich der II. schenkt seinem getreuen Folcmar zwanzig Königshufen in dem Gebiete von Zerbst und in der Grafschaft Geros“.

So steht es (stark verkürzt) in der Urkunde, die im Original in dem Archiv der Stadt Goslar aufbewahrt wird. Eine Abbildung der Originalurkunde und Abschriften der Übersetzungen mit Kommentaren (Urkunde 92 und 48) befindet sich in Abs. 2. Urkunden–Diplome.

 Diese alten Urkunden von Anhalt, die in verschiedenen Archiven und Bibliotheken lagern, wurden, auf Befehl seiner Hoheit des Herzoges Leopold Friedrich von Anhalt, von Dr. Otto von Heinemann erfasst und 1883 als „Codex Diplomaticus Anhaltinus“ (genannt CDA) herausgegeben. Die Urkunde, Walbeck 1003 wurde unter Nr. 92 geführt.
Unter Übersetzung ist nur die Übertragung des handschriftlichen Textes der Urkunde in einen druckfähigen Text (in gleicher Sprache, meist Latein), zu verstehen. Ob auch textliche Änderungen (z.B. bedingt durch unterschiedlichen Sprachgebrauch) durchgeführt wurden wird später noch diskutiert.

 Einige Jahre später, 1900/1903, wurde von der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde „Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, dritter Band – die Urkunden Heinrichs II. und  Arduins“ herausgegeben.
In diesem Werk erhielt die Urkunde Walbeck 1003 die Nr.48

 In dem CDA wird die Urkunde 92 (außer der oben genanten deutschen Kurzübersetzung), nicht weiter beschrieben. Es folgt der lateinische Text mit den Ortsangaben „teretorio Zerbiste“ sowie „Drogunize, Liubusize und Uuize“ .

 Im 6. Teil des CDA (Orts- und Personenregister, herausgegeben von Dr. Otto von Heinnemann) wird der Ort Drogunize wie folgt beschrieben:

Droguuisze, Drogwitz, Droguize, s. Drogunize

Drogunize, Drogouuiszi, Drogowize, Droguize, Droguwice, Droguuithizi, Drogewiz, Drogniz,

Droguce. Wü. (Wüstung) Drogwitz im Köthenschen.

Die Angabe: „Wü. Drogwitz im Köthenschen“ wird noch in den  nachfolgenden Abschnitten für Verwirrung sorgen.

 In der Urkundensammlung der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde wird bei der Urkunde 48 auch ein deutscher Kurztext „Heinrich schenkt seinem getreuen  Folcmar 20 Königshufen im Gebiet von Zerbst“ angegeben, aber dann folgt, im Gegensatz zu der Beschreibung der Urkunde 92 im CDA, eine ausführliche Diskussion über den Inhalt und die Übersetzung der Urkunde. 

Es folgt der Originaltext der Kommentare zu der Urkunde (48):

Verfaßt und geschrieben von EB. Der schon von Leukfeld a. a. O. 322 vorgeschlagenen Deutung des Ausstellortes haben wir uns angeschlossen, so auffällig auch die oberdeutsch gemachte Form des Namens im Munde des EB ist. – Von den genannten Ortschaften ist Uuieze  mit Sicherheit auf Bias südlich von Zerbst, Liubusize entweder auf  das in unmittelbarer Nähe westlich gelegene Leps oder, wie Kindscher nach gütiger Mittheilung annimmt, auf Lübs im Kr. Jerichow I zu deuten. Der Ort Droganize kann nicht mit Heinemann ( im Register zum CD Anhalt.) im Köthenschen gesucht werden, sondern muß ultra Albiam, also auf dem rechten Elbufer, liegen. Vgl. Stenzel in Mittheil. Für Anhalt. Gesch. 6, 327“.

 Anmerkung (von M.R.) zu dem Kommentar von EB:
Ich möchte die Aussage von Dr. Heinemanns verteidigen. Es ist wohl möglich, daß Drogunize (in der Original-Urkunde steht „u“) im Köthenschen liegt, wenn unter Berücksichtigung damaliger Besitzverhältnisse, „im Köthenschen“ das Gebiet des Fürstentums Anhalt, Köthen – Alt – Zerbster Linie gemeint ist, das rechts der Elbe liegt (siehe auch Kartenausschnitt " Geschichte Anhalts"  im Abschnitt  10. Alte Landkarten).

 Einen wichtigen (einzigen ..?) Hinweis auf eine Verbindung GrochewitzDrogunize  finden wir in den „Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Altertumskunde“ Bd. II, 1883 (Mitt VAGA II, 1880, 223).

In einer Abhandlung „Die frühesten urkundlichen Erwähnungen von Ortschaften  Anhalts“ von Th. Stenzel, kann man lesen

Original-Wortlaut:
„Im Anschluß an den voranstehenden verdienstvollen Aufsatz über „Alterthümer Anhalts“ erlaube ich mir hier in gedrängter  Übersicht Einiges von dem mitzutheilen, was ich im Codex Diplom. Anhaltinus besonders  über die ältesten Ortschaften unseres Anhaltischen Vaterlandes gefunden habe. Einen Ausführlichen Aufsatz hierüber behalte ich mir für spätere Zeit vor *)."
 Tabelle:
(diese Tabelle wird hier nur gekürzt wiedergegeben, die vollständige Tabelle von Th. Stenzel siehe Mitt. VAGA II, 1880, 223).

                                   1003

67.       Grochwitz ? (Drogunize).…….(...ist dass die Verbindung zur 1000 Jahrfeier in Grochewitz?)

  *) Für diese kleine Vorarbeit, welche mir zwar Mühe genug gemacht, der ich aber leider nicht mehr Zeit widmen konnte, erbitte ich mir recht milde Beurtheilung von Seiten tieferer Forscher, sowie deren freundliche Belehrung hinsichtlich meiner Irrthümer.“ –

Diesem Schlusssatz von Th. Stenzel möchte ich mich voll anschließen.
Es ist doch nicht so einfach, die Geschichte nur abzuschreiben. Das angestrebte Ziel, eine lückenlose Bestätigung der Ersterwähnung von Grochewitz im Jahre 1003, ist noch nicht erreicht worden. Aber es ist auch nicht auszuschließen, daß Drogunize das spätere Dorf Grochewitz war.

Und so wird , wie oben beschrieben, im Mai wieder 1000 + gefeiert.

 

Grochewitz, 2005, 2007,
Manfred Richter

 


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